Da saß ich also nun. Zusammengekauert im Wohnzimmer neben dem Ofen auf der Ledercouch, den Blick starr auf die viel zu kleine Mattscheibe, in der JR Ewing unter Zuhilfenahme von Unmengen an Alkohol gerade irgendeine eine fiese Boshaftigkeit an seinem Hobby-Bobby Bruder einfädelte.
Doch die eigentliche Boßhaftigkeit schlawenzelte mit der Penetranz eines Albtraums zu nächtlicher Stunde in Form meines eigenen Bruders ständig um mich herum um Faxen zu machen und Grimassen zu schneiden. Jetzt bloß nicht lachen! Es war der Abend einer dieser warmen und unbekümmerten Tage im Sommer, in denen ich mich auf die Suche nach den Grenzen der Physik und dessen Gesetzmäßigkeiten wagte. Ich habe sie erneut gefunden; wohl deshalb bin ich heute von der Ordnungsmäßigkeit der Natur so überzeugt, das mein Weltbild weitgehend ohne Elfen, Feen, Kobolde und Götter auskommt. Ein hervorstehender Gullideckel beendete das durch den durch die Haare säuselnden Winds erstrampelten Gefühls grenzenloser Freiheit auf meinem grünen Bonanza-Rad abrupt.
Und was von meiner Fresse blieb, waren Reifenspuren aus Fleisch wie aus Aspik.
Wie lange doch ein Bremsweg werden kann, wenn nicht stinkendes Gummi auf Metall greift, sondern das Gesicht auf Asphalt. Die Natur ist eben doch nicht bestechlich, und von Freiheit ist man weit entfernt in purer Vorstadt Idylle. Diesmal hatte es seine guten Seiten. Immerhin ging es nicht darum beim heimlichen Rauchen erwischt zu werden – dafür war ich auch noch viel zu jung. Lalülala. Gedanken kreisen ziellos hin und her. Mit der Lippe gebremst und neben dem Fahrradrahmen auch die Nase verzogen, geblutet wie Schwein, war es ein entfernter Nachbar, der zielsicher die durchsichtige Wählscheibe auf dem beigen Telefon auf der Kommode im viel zu dunklen Hausflur in richtiger Kombination um die eigene Achse drehte, um infolge dessen das Telefon meine Eltern in Sirenentöne, sowie meinen ältesten Bruder selbst in Schwingung zu versetzen. Das war zuviel! Jetzt nicht nervös werden.
Nein, solange Mutter nicht da ist, fährst Du nicht Fahrrad.
Danke für die Anordnung – bewirb Dich für die Witzseite! Es muss ja keiner sehen. Die Mutter brachte gerade Sauververdientes zum prima Leben und Sparen zu den Brüdern Albrecht. Doch es ist daneben gegangen mit dem heimlichen Fahrrad fahren in Abwesenheit jeder monarchischen Instanz. Erwischt! Alte Scheiße, was muss ich auch alles bis zum Anschlag ausreizen. Jetzt mussten die Nudeln auf dem Herd jedenfalls erstmal warten, das Krankenhaus rief – mal wieder. Es kam nicht oft vor – vielleicht nur genau einmal, dass mein größter Bruder auf mich aufpassen sollte… Krankenhaus ist schon ziemlich lästig, doch es sollte noch dauern zu erkennen, dass ich Stipvisiten meinerseits mit meiner Handlung immer wieder aufs Neue aktiv provoziert habe. Ich kann ja nicht alles aufeinmal lernen.
Den sehen wir hier noch öfter
entgegnete der Knochendoc bereits Jahre zuvor meiner Mutter. Wie recht er behalten sollte, der Gute. Wirbelwind, Wibbelstehrt, der kann seine Beine nicht ruhig halten. Heute würde man mich mit Ritalin vollpumpen – hätte ich nervöse, unausgeglichene und überforderte Eltern, doch meine Mutter war ja da schon bereits ein alter Hase im Geschäft. Also mal wieder rein mit dem Beißholz, ab in die Notaufnahme und auf den Tisch gelegt, der unter dem Leder bestimmt immer kurz vor meiner Ankunft mit frischen Eiswürfeln aufgefüllt wird, darauf konnte ich mich verlassen. Das ist angesichts der üblichen Hosenbeinlänge eines durchschnittlichen Sommertags und der aufgetragenen Kurzhosenmode der Spätsiebziger immer weniger angenehm gewesen. Die 80er waren auch nicht besser. Was kümmert einen da noch groß eine Nase, die irgendwo auf fünf Uhr im Gesicht rumhängt?
Die schiefe Nase? Das wächst sich aus. Schon klar! Dachschaden? Keine Folgeschäden. Schon klar! Wenigstens mal wieder irgendwas zusammennähen? Diesmal nichtmal das! Schürfwunden? Die hat der sowieso die ganze Zeit. Dicke Lippe? Nicht lachen, ruhig halten. Schnabeltasse, Breipampe. »Klein Armin«, wie mich der bereits verstorbene Bruder des großen Armin aus der Siedlung immer genannt hat, hat sich mal wieder lecker auf die Fresse gelegt.
Niemand bringt das Probieren in den Alltag zurück.
Wir wachsen auf und werden „schwierig“.
Fühle mich an Zeiten aufgeschlagener Knie erinnert.
Schön irgendwie. Trotz allem.
Danke.
Ja so war das. Und wenn ich mich recht entsinne, war es auch mein Bananenrad, was mal wieder „ausgeliehen“ wurde. Oder war ich schon zu groß dafür??? Na egal, was bleibt Markenzeichen „Nase“.
Nix da. Das Rad war längst in meinen Besitz übergegangen!