Immer wieder das Gleiche. Da möchte man einen Start machen, und die festgebackenen, verkrusteten und längst am Tropf hängenden Instanzen sind erbost.
Wenn das so kommt, wird der gesamte Handel aggressiv dagegen halten. Wir sind auch in der Lage, über Stadtgrenzen hinaus den Schulterschluss zu üben.
Uwe Heinhaus – Werbegemeinschaft Hückeswagener Einzelhändler
Es werden Rechtsgrundlagen gefunden werden, wenn man lange genug danach sucht. In Radevormwald verschwenden wir jetzt wieder Unsummen für die Innenstadtförderung, und auch in Remscheid ist man überhaupt nicht davon angetan, dass ein Investor auf dem ehemalig als Industriegebiet geplanten Gelände an der Blume ein DOC – Designer Outlet Center bauen möchte. Alle Chancen des Vorhabens werden kritisch beäugt, wenn hier vergilbte Fensterscheiben in ranzigen Altbauten auf der Kippe stehen. Früher hieß es, man solle Tankstellen dort eröffnen, wo schon eine steht.
Ich will erst wissen, wie die Remscheider über das Thema denken, bevor ich mich näher dazu äußere.
Sven Wolf MdL – SPD
Früher, da war alles besser. Da kam Oma Klara jeden Tag mit dem 9-Uhr Ticket 2000 durch den Ritt auf der 654 oder 655 auf die Alleestraße und sorgte für ein einträgliches Auskommen der Wurst- und Sockendealer. Doch der gemeine Mob mit seiner herrschenden Kapitalgewalt hat seine Meinung geändert. Infolge dessen, dass der nachgewachsene Büroangestellte nach abgeschlossener Berufsausbildung heute höchst selten 2000€/netto nach Hause bringt und ein wesentlicher Teil seines betrüblichen Einkommens dafür aufgewendet werden muss, die Wohnung und dessen Bewirtschaftung zu bezahlen, ist es nur logisch, dass auch der Einzelhändler nicht mehr im Land wohnt, wo Milch und Honig fließt, sondern trotz aller Mühen am Ende des Monats schlicht ein Gehalt zum Leben bleibt; ganz wie bei seinem Kunden. Man sollte meinen, dass jeder Besucher, der ins Bergische Land gezogen wird, ein Gewinn für die Region wäre. Stattdessen fürchtet man den Verlust der ohnehin schon nicht mehr in die Läden strömenden Bergischen Sturköpfe. Selbstbewusste Konkurrenzfähigkeit geht anders.
Die Innenstädte bluten aus, und weil wir politisch eine Infusion nach der anderen legen, blutet es genau so lange weiter, bis die Infusionen gestoppt werden. Das ist nur noch nicht geschehen, und so glauben wir weiter, man könnte noch was retten. Der Körper hingegen ist längst vollständig ausgezehrt, organisch tot und nicht mehr zu retten. Es ist Zeit Alternativen für die frei gewordenen Quadratmeter zu suchen. Stattdessen wird das Geld, was der Kunde aus einer bewussten Entscheidung heraus nicht mehr in die Innenstadt trägt, durch Steuermittel indirekt doch wieder dort hinein gepumpt.
Jeder Leerstand lässt sich verhindern, wenn die Innenstädte zurückgebaut werden – umgebaut werden in mitunter dringend benötigten Wohnraum, in Jugendräume, Begegnungsstätten, kulturelle Angebote. Es scheint mir höchst fraglich, dass mit Steuergeldern, wenn auch nur indirekt, die Hausaufgaben der Einzelhändler gemacht werden, um künstlich das Angebot aufzuhübschen (Wir machen mal die Beleuchtung ein wenig schöner, dann kommen bestimmt alle). Nachhilfe scheint notwendig, aber warum soll ich das bezahlen? Es ist in großen Teilen auch ein Generationsproblem, denn wo Oma Klara den Verlust des kleinen Nähbedarf-Geschäfts an der Ecke vermisst, welches über Jahrzehnte Ansprechpartner für professionelle Lochstopfarbeiten war, schmeißt die Generation 30 den Socken einfach auf die Halde und regt sich über die verfallenen Gebäude auf, die, außer Totgeburten sowieso nichts mehr beherbergen können, aber das Stadtbild nachhaltig verschlechtern – es könnte ja doch noch mal ein Nähbedarfsladen eröffnen.
Die Innenstädte müssen geschützt werden, doch was ist an der Alleestraße in Remscheid noch wirklich schützenswert? Nostalgie ist Erinnerung an die Vegangenheit, wie sie nie war. Die wieder aufgebaute Alleestraße, nachdem die Bomben des Zweiten Weltkriegs den ehemaligen Charme Remscheids zerstört haben, war doch nie wirklich schön. Man hat dort halt eingekauft. Im Gegenteil war die Alleestraße nie schöner als jetzt. 2/3tel der Sachen, die man dort gekauft hat, bekommt man heute bequemer und/oder billiger woanders. Jeden Artikel im Internet für eine Jahresgebühr von 29€ am Folgetag bis 10Uhr an der Haustür in Empfang nehmen können ist alleine für sich schon eine Konkurrenz, gegen die auch eine schöne Innenstadt keine Argumente aufbringen kann. Im Resultat finden wir heute 2/3tel der Alleestraße mit 1€ Läden bestückt. Müssen wir das wirklich schützen? Glauben wir ernsthaft, hier noch mal für eine deutliche Belebung sorgen zu können? Aber das Einzelhändler auch nur eine Lobby ist, die obendrein eine gewisse Machtposition inne hat, zeigte die letzte Bürgermeisterwahl in Radevormwald, bei der der Vertreter, der dem Radevormwalder Einzelhandel fröhlich nach dem Mund redete, auf Anhieb über 20% der Stimmen erhielt. Doch durch Lobbyinteressen ist noch selten ein gutes Ergebnis für das Gemeinwohl entsprungen.
Die Konkurrenz ist zu stark und angenehm, als dass man hier mit der Verhinderung eines Design Outlet Centers irgendetwas erreichen würde. Kein Cent der von den Investoren in das Projekt gesteckte Geld an der Blume, würde auf die 1€-Alleestraße fließen, und wegbleibende Besucher eines nicht vorhandenen DOC sind auch nicht anderweitig in die Stadt zu locken. Es sei denn der Einzelhandel hat über Jahrzehnte gepennt und fängt gerade erst an. Man raubt sich die Möglichkeit eines stadtzentralen Magneten, um Geld in die Stadt zu locken. Der Parkplatz in Roermond ist gefüllt mit Blechschildern aus dem Ruhrgebiet – täglich. Das Ruhrgebiet ist groß, und dicht besiedelt. Heute fährt das Bergische Land ins Ruhrgebiet. Wie wäre es, wenn das Ruhrgebiet mal ins Bergische fährt? Wegen Kodi oder einem Döner wird das aber wohl nicht passieren. Das DOC nicht zu wollen, und dies mit Innenstadtförderung oder zum Schutz des Einzelhandels (erinnert mich an WWF-Aktionen zum Schutz aussterbender Tiere) zu begründen ist bestenfalls als naiv zu bezeichnen. Immer wieder scheitern Planungen für ein derart konzipiertes Outlet Center einzig an der sog. Regionalplanung der Städte, dabei ist es häufig nicht mal die Stadtplanung selbst, sondern die Anwendung und Berufung von Anwälten der Gegner, die rechtlich bislang äußerst erfolgreich sicherstellten, dass wir Rückschritt als Entwicklung bezeichnen dürfen. Ein kurzer Blick auf den Parkplatz in Roermond lässt hier nur erahnen, wie viel Geld alleine NRW nach Holland trägt.
Die eigene Qualität stärken heisst, die Kuh zu füttern, bevor man sie versucht zu melken. Fakt ist, dass ein DOC – Design Outlet Center in Remscheid ideale Bedinungen vorfände. Fast 3 Millionen Besucher zieht das 150 Geschäfte starke Outlet Center in den Niederlanden jährlich an, was Roermond zu einem beachtlichen Aufschwung verhalf und deutlich zeigt, dass das Angebot vom Kunden gewünscht ist und angenommen wird. Fakt ist auch, dass Remscheid in Zeiten von Kürzungen allerorten dringend einen solchen Aufschwung durch ein DOC – Design Outlet Center gebrauchen kann. Man muss ihn nur wollen. Gerade mit dem historischen Stadtkern in Lennep haben wir in Remscheid auch einen kulturellen Magneten, den man nur richtig vermarkten muss. Der Stadtkern ist keine 2km von der Blume entfernt. Mit 500m neuem Gleisanschluß nach Blume wäre es möglich Besucher binnen 2min nach Lennep zu ziehen – Kaffeetrinken oder Mittagessen in historischem Ambiente, ab durch die Düstergasse.
Wenn nur ein Prozent (Anm.: von erwarteten >2 Mio Besucher / Jahr) davon anschließend in Lennep oder Lüttringhausen zum Kaffee trinken geht, haben wir gewonnen.
Hans-Gerd Sonnenschein – Stadtplanung Remscheid
Möglich ist, wenn man schon auf dem Gleis ist, natürlich auch eine Weiterfahrt in die Remscheider Innenstadt, einzig der stichhaltige Grund fehlt. Aber was Lennep betrifft, so bin ich in die Roermonder Innenstadt auch deshalb gegangen, um mir das historische Städtchen anzuschauen. 40% machen es genauso. Die Gastronomie hatte gut zu tun.
Das Konzept der Innenstadt hat sich weitgehend überlebt; wir sollten nicht allzu lange daran festhalten und sinnlos Geld in die Aufrechterhaltung unserer Nostalgie verschwenden, schon gar nicht, wenn konkurrierende Angebote nachweislich gewünscht sind, deutlich besser funktionieren und auch noch Angebote unterbreitet werden. Es wird sich zur Not aber wohl auch noch eine seltene Tierart an der Blume finden, oder das gewollte Hosenknopf Geschäft weiter rechtlich unter Schutz gestellt, weil man Chancen nicht wahrnimmt, solange auch der kleinste Verlust als die größte Gefahr wahrgenommen wird. Vielleicht gibt die Kuh von sich aus ja noch einen Tropfen ab.
Es gibt gewisse äquatoriale Ameisen die Insekten und Säugetiere und überhaupt alles angreifen, was ihre Nahrungsquellen bedroht. Ihr Geruchssinn bestimmt ihre Verhaltensweise.
Pressespiegel / Verweise:
- Waterboelles: Plädoyer für ein Designer-Outlet-Center in Remscheid
- rga-online: CDU-Mittelständler sind für ein DOC
- rga-online: Schon im nächsten Jahr soll Klarheit herrschen
- rp-online: Politik sagt ja, aber…
- rp-online: Hückeswagen: Front gegen DOC
Und eine persönliche Anmerkung als Fußnote:
Als Drachenflieger weiß ich die Grünfläche an der Blume zu schätzen, bietet sie doch ideale Flugbedingungen, und ich würde eine Bebauung sehr bedauern. Doch möchte ich mir nicht aus ideologischem Eigennutz die Erkenntnis versperren, welche Chancen in der Blume liegen.
Und erinnern wir uns: Vier Personen aus dem Bergischen Land kaufen in Roermond zwei (!!!) Sport-Shirts für insgesamt vielleicht gerade mal 30,– €, denn mit „höchst selten 2000€/netto“ holst Du Dir auch im DOC keinen Joop-Anzug oder ein Hilfiger-Poloshirt!