Ein heute Zwanzigjähriger hat 10 Jahre im Bewusstsein, mit dem er in der Gewissheit aufwachsen durfte, dass die Gefahr im Land klar kartografiert ist. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Im ständigen Überbietungswettbewerb titelten die großen Magazine über eine lange Zeit vor allem eins: Feinbild Islam, Mekka Deutschland, Islamisierung Europa, den Koran als das gefährlichste Buch der Welt. Die politische Führung sprach zeitweise gebetsmühlenartig vom Christlichen Abendland und den christlichen Werten, die nie wirklich genau benannt werden, weil sie ohnehin eher eine diffuse Gemengenlage Aufklärung und Humanismus ist, aber diese christlichen Werte wollen und sollen mal wieder gewagt werden. Christliche Fundamentalisten preisen ihr Familien- und Weltbild als den idealen Weg gegen die „Überfremdung“, als gäbe es ein ausgeprägteres Territorialrecht schon deshalb, weil die Vorfahren in Deutschland geboren sind, und nicht wohlmöglich aus „fremden Kulturkreisen“ stammen. Innenminister stellen sich hin und begrüßen Einwanderer aus Spanien und Griechenland, die, da Christen, so gerne gesehen sind. Besser zumindest als „fremde Kulturkreise“, denen man wieder einen Migrationshintergrund anheften muss. Für eine noch schärfere Distanzierung ist man sich auch nicht zu schade tatsächlich von einer „jüdisch-christlichen Tradition“ zu sprechen, auch wenn die wenig erbaulich ist. Zwischendurch immer wieder unterfüttert mit Werten, Werten, Werten. Und die Claqueure arbeiten emsig.
Winselwürstchen fürchten nun um ihr biederes Leben, weil ihr Wohlstandszynismus im Affekt der Langeweile nach heeren Werten schreit; sie scheinbar bedroht werden. Der Schwache rottet sich in Gruppen zusammen und sucht den noch Schwächeren zur Bebauung des eigenen Egos; Trostspender. Als gehöre ihm das Land mehr als dem hier geborenen Deutschen Mehmet, dessen Großeltern bereits hier her kamen, als die Republik gerade erst zu laufen anfing.
Eine schale Hülle deutschnationales Zugehörigkeitsgefühl, die scheinbare Speerspitze überfütterter Mehrheitskonvektionen ohne Fundament. Es wabert und tritt nach außen ein Schrei, der im Unterton nicht vermissen lässt, doch eigentlich nur das Gute für Volk und Rasse zu wollen, im Glauben ein Ausführungsorgan einer schweigenden Mehrheit im Land zu sein, versteckt hinter einem Lippenbekenntnis für die Demokratie. Vorreiter. Nicht direkt zu erkennen, weil die einst so eindeutige Uniformierung nur noch einige Unverbesserliche anziehen, um es als aufrichtig in moralischer Erhabenheit zu demonstrieren, wie verkackt einfältig man sich gebären kann und darf. Und schreit jemand auf, fühlt man sich auch noch direkt von der Juden- und Systempresse in seiner Meinungsfreiheit beschränkt und bestärkt in seinem Gefühl der Bedrohung. Es ist egal wie man reagiert, Verschwörungstheoretiker basteln sich jede Reaktion passend in ihre Wahrheit.
Auf dem Rechten Auge blind
Es ist wie ein Sprung in die Jugend, das eigene Erwachen des Politikverständnisses, und das ewige Unverständnis. Für die Proklamation, dass Deutschland auf dem Rechten Auge blind sei, gibt es leider hinreichend Gründe, nur wurden sie aus Verdacht des Grabenkampfes selten ernst genommen. Mit einer CDU an der Spitze, an der die Entnazifizierung leider vorbeigegangen ist wie ein Weltmeistertitel für Michael Ballack, und die noch immer mit Menschen wie Kanther, Rüttgers oder Koch auch in jüngster Vergangenheit Nährboden für rechtes Gedankengut bereitstellen, sollte man sich nicht arg laut wundern. Doch längst hört man auch aus den Reihen der SPD, dass man „das doch wohl noch sagen dürfe“. Es sollte klar sein, dass auch die Meinungsfreiheit Grenzen hat, wie jedes Recht dann ihre Grenze findet bzw. finden sollte, wenn die Konsequenz die Rechte anderer einschränkt.
Und zwischen all den Nachrichten über National Befreite Zonen in Wuppertal-Vohwinkel, Hetzjagden auf Ausländer in den Wupperortschaften, Anschläge auf Moscheen in Radevormwald und Wipperfürth, ständigen Schmiererein und Sachbeschädigungen an öffentlichem und privatem Eigentum, Hausdurchsuchungen wegen des Verdachts zur Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags, ist es medial kaum eine Randnotiz wert, dass das Verfahren gegen den dahinter stehenden „Freundeskreis Radevormwald“, der sich in nicht zu überbieten einstudierter Ikonografie im Internet präsentiert und erklärt (die Rolle artig gelernt), eingestellt wurde, weil der Betreiber der Website nicht zu ermitteln sei. Dies ist entweder eine glatte Lüge, oder ein weiteres Zeugnis über die Einäugigkeit des Deutschen Rechtsstaats, wenn mir als nicht exekutives Staatsorgan die Zusammenarbeit mit dem Betreiber des Blogging-Dienstes gelingt (Urheberrechtsgeschichten), zumal dies in den Nutzungsbedingungen auch eindeutig so beschrieben steht. Dass dies einer Strafverfolgungsbehörde in Deutschland nicht möglich sein soll, ist mindestens ein Armutszeugnis, so es denn stimmt und nicht aus ermittlungstechnischen Gründen nur behauptet wird. Immerhin wird wer sich immer sicherer fühlt auch immer unvorsichtiger, und unentlarvend kann man deren Internetseite nicht gerade bezeichnen. Doch bleibt gerade in Hinblick auf die aktuellen Ermittlungsergebnisse und den Versäumnissen rund um die Zwickauer Terrorzelle ein mehr als fader Beigeschmack. Aber die sind ja so nett und grüßen immer freundlich. Außerdem ist der Vorgarten vorbildlich gepflegt!
Medienwirksam wird im beschaulichen Radevormwald der formfreie „Runde Tisch gegen Rechts„, ein üblicher phlegmatisch rethorischer Betroffenheitreflex, in Vereinsmeierei gegossen und betroffen die Hinterlassenschaft der Braunen Brut vom Laternenpfahl gekratzt. Über Jahre wurde das Problem ignoriert und plötzlich scheint es, als wäre die Braune Grippe urplötzlich über das Dorf gefegt und man ist die Hände in die Hüften gekniffen demonstrativ entsetzt und betroffen wenn das Licht angeht. Das gehört sich so! Sich an Lichterketten wärmende Menschlichkeit holen bleibt so lange eine bigotte Distanzierungsromantik, solange man gleichsam schweigend akzeptiert wenn der Mainstream und die Presse von „Dönermorden“ spricht oder hier geborene Menschen, deren Großeltern eingewandert sind nur dann als „Migrant“ bezeichnet werden, wenn der Umstand es so will dass es Türken oder Araber sind, und wenn dem linken Spektrum zugehörige „Grüne“ pausenlos und unhinterfragt von „Biodeutschen“ sprechen. Deutschland greift als mächtiges Wirtschaftsland noch immer und gerade sehr aktuell nicht gerade altruistisch nach den Völkern, und im Überfluß an Blut religiöser, ethnischer, ideologischer oder durch Bodenschätze bedingter Kriegstreiberei partizipieren wir fleißig. Manch einer sollte den Arsch nicht zu weit aus dem Fenster hängen. Wer glaubt, wir haben in 60 Jahren eine höhere emotionale Reife erlangt, dürfte sich arg wundern, wenn die Zeiten härter werden. Dies zeigte sich dieses Jahr z.B. im ZDF, wo dessen Chefredakteur Peter Frey in einem Kommentar nichts besseres einfiel als Breivik mit dem Urteil der Gotteslästerung zu versehen. Wenn es ernst wird, setzt man eben auf Bewährtes.