Der Internet Explorer 9 steht in den Startlöchern. Nachdem Microsoft den Browserkrieg gewonnen hatte, wurde es noch schlimmer, bevor es besser wurde. Internet Explorer 6 war furchtbar, Internet Explorer 7 grausam und der Internet Explorer 8 ein Unverschämtheit. Neustart: Jetzt kommt der Internet Explorer 9 und macht alles besser, aber nicht für das abgelaufene Windows XP! In der Politik spräche man von der absoluten Mehrheit, welche hier ausgespart wird. Auf Minderheiten kann der Fortschritt keine Rücksicht nehmen.
Windows XP ist doch von 2001, wen juckt das heute noch? Mit jedem neuen Rechner wird Windows 7 ausgeliefert! Man sollte sich endlich mal von Windows XP verabschieden! Sollte man das? Über 50% sind noch mit Windows XP unterwegs, häufig doch mit gutem Grund. Mit Chrome, Firefox und Konsorten ist auch unter Windows XP so etwas wie Surfvergnügen spürbar. Ich habe erst letztes Jahr meine Infrastruktur erneuert und ebenfalls erneut XP gesetzt, auch wenn Windows 7 schon verfügbar war. Für meine aktuelle Hardware und meine Buchhaltung ist mein XP noch kein Jahr alt.
Doch der alte Internet Explorer ist zunehmend eine Bedrohung für den Ruhepuls. Hier gehe ich mit gutem Beispiel voran, da ich insbesondere die älteren Versionen bei der Entwicklung von Websites ignoriere, im backend meines CMS gar gänzlich ignoriere. Mein Ansatz ist, dass Nutzer des Internet Explorers in alten Versionen noch ganz andere Probleme haben, als eine verschobene Trennlinie auf einer von mir erstellten Webseiten.
Jetzt kommt der neue Browser aus dem Hause Microsoft, und wir sollen den natürlich alle installieren und nutzen. Er möchte endlich Standards unterstützen, was jeden Webworker ein wenig Hoffnung ins Gesicht zaubern kann. Die Tatsache, dass der Großteil der Internetseiten im Internet Explorer halbwegs vernünftig aussehen, ist alles, aber sicher kein Verdienst des Browsers selbst, sondern vielmehr der Verdienst des bugfixing des Webworkers. Das bläht die Kosten für eine Internetseite auf und kostet Zeit, die sinnvoller ausgestaltet werden könnte. Warum sollte man wechseln, „alle Seiten laufen doch“, ist ein gern vertretenes, aber äußerst oberflächliches und von Detailkenntnis mangelndes Argument.
Das Internet ist längst mehr als die Textdarstellung. Und wenn etwas nicht geht, oder eine kundenspezifische Lösung gefunden werden muss, ist es immer der Internet Explorer, der mitunter enorme Hürden aufstellt, sodass man sich häufig gegen etwas entscheidet. Man kann durchaus sagen, dass der Internet Explorer, der Browser mit der größten Verbreitung, die größte Bremse für die Weiterentwicklung des Internets darstellt. Hier stellt sich mir eigentlich nicht die Frage, was alles läuft, sondern was alles nicht läuft, was alles nicht umgesetzt wird, aus Kostengründen wegrationalisiert wird.
Das browserspezifische Entwickeln von Internetseiten kennt man eigentlich seit es das Internet gibt, und kam mit dem dem Aufkommen des Browserkriegs zum ersten Höhepunkt: Jeder kocht sein eigenes Süppchen, und am Ende muss man die Internetseite für jedes System individuell würzen, damit ein gleichbleibendes Outfit nicht garantiert, aber in der Regel zumindest halbwegs erreicht werden kann. Denjenigen, die Pfade der reinen HTML Seite verließen und in Gefilde von JavaScript und CSS vorstießen, konnte man eine täglich sinkende Frustrationsschwelle ansehen. In den letzten Jahren hat sich das ein wenig gewandelt: „Die anderen Browser“ unterstützten weitgehend Standards und sind mehr oder weniger als eins zu sehen, und für den Internet Explorer wurde halt wieder angepasst. Mit Frameworks wurde die Arbeit erheblich erleichtert. Jetzt, mit dem IE9, soll damit Schluß sein, so hallt es durch den Netzwald. Die Einhaltung von Standards ist jedoch keine Reinkarnation der alten Browser, diese bleiben mangelhaft, und sie bleiben am Markt.
Was hilft es zudem, wenn der Internet Explorer 9 nicht unter Windows XP zur Verfügung steht, ein System, welches noch eine ganze Weile verbreiteter sein wird, als Vista und Windows 7 zusammen, und, wie auf obigem Bild zu sehen, auch noch 2 Jahre nach dem ersten Abgesang fleißig weiter verkauft wird? Ich muss wohl auch noch eine lange Zeit weiter Internetseiten bedarfsoptimieren für die Unzulänglichkeiten der einzelnen Anzeigesysteme bzw. der grob existierenden zwei Lager. Niemand wird auf die Idee kommen eines Browsers wegen ein neues Betriebssystem zu installieren, um sich damit andere Probleme ins Haus zu holen. „Wieso, alle Seiten laufen doch im IE6,7,8“. Und wenn man sich die noch immer große Verbreitung auch des Internet Explorer 6 und 7 anschaut, obwohl Microsoft sogar mit Fernsehwerbung massiv den Internet Explorer 8 beworben hat, und der Internet Explorer 6 ein großes Sicherheitsrisiko für den Surfer darstellt, ist es vollkommen illusorisch anzunehmen, dass sich bei all der Gemengelage der Komplexität je der Moment einstellt, in dem man sich auf die Einhaltung der Standards beschränkt, um so browser- und plattformübergreifend arbeiten zu können.
Es spielt keine Rolle was der IE9 alles tolles kann. Er kommt höchstens auf einen Stand, den auch „die anderen Browser“ längst haben. Dies wäre gleichzeitig der günstigste Fall. Doch da über Jahre die alten Internet Explorer Versionen mit hoher Verbreitung weiter den Nutzer den Weg ins Internet weisen, ist auf Seiten des Entwicklers nichts gewonnen, außer, dass er sich eine weitere VM installieren muss, wohlmöglich, wie in meinem Fall, gar eine weitere Windows Lizenz – ein Parallelinstallation mehrerer Internet Explorer Versionen, ist ja noch nie möglich gewesen. Nötig ist sie sehr wohl.
Der Internet Explorer 9 kommt heißt also: Es bleibt alles wie bisher. Konsequent wäre es, dass Systeme, die durchfallen, auch fallen gelassen werden. Stattdessen bauen wir weiter teure Netze und der Ottonormalsurfer kann die Kritik kaum nachvollziehen. Läuft doch alles!